Lalibela, une ville éthiopienne dans la mondialisation. Recompositions d’un espace sacré, patrimonial et touristique

Bridonneau, Marie: Lalibela, une ville éthiopienne dans la mondialisation. Recompositions d’un espace sacré, patrimonial et touristique. (Lalibela, eine äthiopische Stadt in der Globalisierung. Neugestaltung eines sakralen, patrimonialen und touristischen Raumes). Paris: Éditions Karthala, 2014. ISBN: 978-2-8111-1142-7. 305 Seiten, XII Seiten mit farbigen Fotografien im Innenteil, 3 Tabellen, 9 Infokästen, 19 Abbildungen. Coverfoto: Kirche Beta Maryam in Lalibela zur Pilgerzeit an Weihnachten, Januar 2011

Lalibela, seit 1978 UNESCO Weltkulturerbe, ist aktuell aufgrund des Krieges zwischen der TPLF (Tigray People’s Liberation Front), Milizen und den Regierungstruppen in der Bundesrepublik Äthiopien in den Schlagzeilen. In Nordäthiopien, vor allem in Tigray und Amhara wurden unzählige Dörfer, Kirchen und Klöster zerstört und die Ernte vernichtet. Lalibela wurde 2021/2022 wiederholt angegriffen, der Stromkreislauf wurde unterbrochen und Wasser wurde knapp. Bedingt durch Covid 19 und dem Krieg blieben die Touristen weg, viele Bewohnern verloren ihre Existenzgrundlage und die Arbeitslosigkeit stieg sprunghaft an. Die Kämpfe machten auch vor den sakralen Felsenkirchen in Lalibela nicht halt, das Ausmaß der Schäden ist derzeit noch nicht ermittelbar.

Der Name Lalibela (ለሊበላ Lalibalā) bezieht sich nicht nur auf die in 2600 Metern Höhe gelegenen aus dem roten Felsen eingemeißelten 11 Kirchen, die ab dem 7. Jahrhundert gebaut und von König Lalibela Anfang des 13. Jahrhunderts vollendet wurden, sondern auch die umliegende Kleinstadt mit ca. 17. 000 Einwohnern. In den letzten 20 Jahren veränderte sich das Leben in Lalibela und Marie Bridonneau, Dozentin für Geografie an der Universität Paris Ouest Nanterre La Défense, untersuchte für ihre Dissertation diesen Veränderungsprozess. Mit dem Argument, ihre Arbeit sei verankert in eine französische kulturelle und soziale Geografie, die immer nach dem Sinn fragt, welche die Menschen vor Ort ihren Handlungen geben und die in ihrer Forschung die lokalen kulturellen und sozialen Werte berücksichtigt, legt sie eine klassische Monografie und keine Vergleichsuntersuchung vor.

Anhand von sechs Schwerpunkten erfasst Bridonneau die Globalisierung und beschreibt die Geschichte Lalibelas, die Bewohner, die äthiopische Kirche vor Ort, die Konsequenzen der regionalen und staatlichen Politik, insbesondere in Bezug auf Umsiedelungen und Neuansiedlungen und die Auswirkungen des Tourismus. Neben dem geographischen Raum – Felsenkirchen und Stadt – kommt der Raum der Akteure und der Auswirkungen dazu. Bridonneau führte zwischen 2009 und 2012 ca. zweihundert Interviews mit Bewohnern durch. Sie gibt einen umfassenden Einblick in das facettenreiche Leben einer äthiopischen Kleinstadt und beschreibt, wodurch der private Alltag und das öffentliche Leben neben dem Einfluss des (religiösen) Kalenders und der Tageseinteilung mit festen Mittagspausen bestimmt wird.

Die Architektur und die Geschichte der Felsenkirchen als zweites Jerusalem ziehen die Touristen an, kein Äthiopienbesucher lässt diese Sehenswürdigkeiten aus. Doch auch die christlichen Feiertage sind Magnet, für die Äthiopier als Pilgerzeit nach Lalibela, für die Touristen als Teilnehmende einer einprägsamen religiösen Feier. Die maßgebliche Bedeutung der Felsenkirchen für das Leben der Bewohnern von Lalibela wird sichtbar und auch das Dilemma, wenn einerseits die Touristen den Komfort eines Hotels mit Wasser, Hygiene, Essen, Geschäfte, gute Infrastruktur erwarten, andererseits ein traditionelles äthiopisches Leben im Tukul, traditionelle Kleidung, Marktgeschehen, einen Pilgerort und seit dem 13. Jahrhundert unveränderte Kirchen sehen wollen.

Die vorhandene Infrastruktur wie Krankenhaus, Schulen, Kanalisation, Elektrizität und Stadtverwaltung führte zur Einstufung von Lalibela als (Klein)-Stadt und nicht als Dorf, bedeutsam für die Regierungspläne für Entwicklung des Tourismus (Tourism Development Policy). Eine stetig anwachsende Zahl der (jungen) Bewohner arbeitet im touristischen Bereich und wird Teil der Globalisierung. Neue Konflikte mit der lokalen Kultur und den Behörden entstehen, wenn Märkte, Handwerker und Gastronomie sich vermehrt auf Touristen konzentrieren. Die hohe Präsenz der Touristen führt zu einer räumlichen Veränderung mit innovativer Architektur der Hotels, Restaurants oder Geschäften; es soll den Touristen auch außerhalb der Kirchen etwas geboten werden. Bridonneau beschreibt die Arbeit eines jungen Äthiopiers, der geschickt die Touristen anspricht, ihnen die Sehenswürdigkeiten zeigt, zum Abschluss nach der E-Mail fragt und dadurch internationale Beziehungen unterhält. Viele Touristen unterstützen so ihre Guides und deren Familien, ein Netz von Paten und Sponsoren als ausländische Geldgeber für Restaurants und Hotels entstand. Weiter wirken Weltbank, UNESCO, World Monuments Fund, EU, British Council, NGOs und wissenschaftliche Institutionen neben den äthiopischen staatlichen Programmen vor Ort. Sie verändern massiv und nachhaltig den Alltag durch den Bau von Kindergärten und Schulen, Brunnen und Kanalisation oder Bürogebäuden und Hotels.

Bewahren des UNESCO Kulturerbes schließt laut UNESCO die traditionelle Lebensweise in den Tukul mit ein, andererseits wirkt sich die ansteigende Zahl der Touristen auf den Zerfall der Kirchen aus. Der Lalibela Structure Plan der regionalen Regierung (Amhara) und das staatliche Program Ethiopian Sustainable Tourism Development Project entwickelte daher den Plan von Umsiedlungen (Resettlement Action Plan) in Lalibela (2009-2014). Die Umsiedlung sei die einzige Lösung, das Weltkulturerbe zu erhalten und den touristischen Ausbau der Infrastruktur und die Weiterentwicklung der Stadt zu fördern.

700 Familien, die in unmittelbarer Umgebung der Kirchen lebten, sollten in den Stadtteil Kurakur an den Stadtrand umgesiedelt werden. Aufgrund der äthiopischen Geschichte mit Zwangsumsiedlungen, während der DERG Zeit (ab 1986) und den Umsiedlungen der EPRDF (ab 2003) ist der Begriff (amharisch safarā) grundsätzlich negativ konnotiert. Wenngleich es sich hier um eine Umsiedlung von wenigen Kilometern in die Peripherie der Stadt handelt, war und ist der Widerstand groß. Die Umsetzung der Pläne verzögerten sich jedoch, 2014 waren erst 138 Familien aus ihren Häusern gebracht worden, die von der Weltbank den Bewohnern finanzierten Grundstücke für die Umsiedlungen wurden nicht vergeben. Das Umsiedlungsprogram wird zwar vom Patriarchat befürwortet, aber nicht von den lokalen Klerikern, die die äthiopische Tradition des Lebens auf Kirchengrund (gabār) bewahren möchten. In den Kirchen sind jeweils 45 bis 60 Kleriker (Priester, Diakone, Dabtarā, Marigetā) und ein Priester (Qes Gabaz) für die Verwaltung zuständig, die vor Ort mit ihren Familien leben. Hinzu kommen weitere Bewohner, die das Wohnrecht ererbt haben. In den Interviews kommt das Unverständnis über die Durchführung der Umsiedlung zum Ausdruck, von einem Tag auf den anderen mussten sie ihre Häuser verlassen, ohne ihre Habseligkeiten einpacken zu können. Auffallend ist die hohe Anzahl von alleinstehenden Frauen, die durch Angebote an die Pilger oder Vermietungen überleben und durch die Umsiedelung ihre Lebensgrundlage verloren. Eine Bewohnerin erklärt, mit dem Geld hätte sie viel lieber ihre Hütte renoviert, um sie noch attraktiver für die Pilger zu machen. Auch der religiöse Vorteil des Lebens in Kirchennähe wird in fast allen Interviews betont, ihr Glauben sei immer präsent, sie hören die Gebete und folgen den Aufrufen der Geistlichen zur Liturgie. Die einzelnen Kirchen werden als Nachbarn beschrieben: „Ich bin die Nachbarin von Maria (Marienkirche)“. Die enge Verbindung zur Kirche und dem jeweiligen Kirchenbau und der damit verbundenen spirituellen Ebene wird als zerstört geschildert, insbesondere für die Familien, die schon seit langer Zeit in Kirchennähe lebten. Für die Bewohner ist es somit nicht nur eine rein räumliche Umsiedlung innerhalb eines Ortes, sondern eine umfassende Veränderung ihres Lebens.

Die Bedeutung der Forschungsergebnissen von Bridenneau wird geschmälert durch eine fehlende Transparenz. Informationen zu ihrer Arbeitsweise, ihren Interviews und ihrer Durchführung samt Archivierung fehlen: Wer wurde wann , wo, wie und womit befragt? Wie wurden die Interviewpartner gewonnen? Unnötige Wiederholungen ermüden, die neun Infokästen (encadré) mit Details zur äthiopischen Geschichte und Politik wie beispielsweise zu den historischen Regionen Amhara, Lasta und Wollo sind hilfreich, doch zu ausführlich. Einige Ausführungen zur äthiopischen Kirche fassen zu kurz, sie beschreibt die Aufgaben der Kleriker, ohne die soziale und seelsorgerliche Dimension zu berücksichtigen und der Prozess zur Autokephalie der äthiopisch-orthodoxen Tawāḥedo Kirche wird als ein rein machtpolitisches Anliegen von Kaiser Haile Selassie geschildert. Sie folgt der (politischen) These, die ÄOTK hätte die „Amharisation“ des Landes bewirkt, die Entstehungsgeschichte in Tigray (Aksum) bleibt unberücksichtigt. Irritierend ist die Platzierung der Fußnoten, die oft an in Anführungszeichen gesetzten Wörter angehängt sind, anstatt am Ende eines Satzes. Ihre Bibliografie schließt neben den geopolitischen Werken (Stand 2014) behördliche Veröffentlichungen, legislative Anordnungen, Veröffentlichungen der UNESCO und NGOs, Zeitungsartikel, Broschüren und Internetseiten ein, amharische Quellen fehlen.

Bridonneau erfasst Lalibela als eine kleine äthiopische Stadt, die aufgrund ihrer Felsenkirchen ins Weltgeschehen eingebunden ist. Sie kommt zu der wichtigen Erkenntnis, dass gerade die Religion diese Globalisierung befördert und die Neugliederung des räumlichen, sozialen und politischen Bereiches in Lalibela von der Dreiecksbeziehung des lokalen sozialen Raumes mit den Vorgaben des Staates, der Kirche und den Strategien der globalisierten Akteuren abhängig ist.

Geografen, Sozialwissenschaftler und Äthiopisten werden gut mit dem Buch arbeiten können und NGOs und internationale Organisationen finden vielseitige Informationen für Projekte in Äthiopien.

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