Fadi Daou, L’inculturation dans le « Croissant ». Les Églises orientales catholiques dans la perspective d’une Église arabe. (Thèse pour obtenir le grade de Doctorat : Nouveau régime. Discipline : Théologie catholique, Université Strasbourg II – Marc Bloch. Faculté de Théologie catholique) septembre 2002 (2 Bde.) 883 S.
Fadi Daou, maronitischer Priester aus dem Libanon, hat 2002 seine Doktorarbeit über die Inkulturation der Kirche im arabischen Halbmond veröffentlicht. Der Untertitel weist darauf hin, dass er sich im näheren mit den katholischen orientalischen Kirchen befasst, und zwar unter der Perspektive einer arabischen Kirche. Er greift damit eine programmatische Schrift von Jean Corbon „L’église des arabes“ (1977) auf. Es geht dem Autor um die Erstellung einer Struktur für eine Erneuerung durch Inkulturation in den orientalischen katholischen Kirchen des arabischen Halbmonds. Dafür hat er drei theologische und ekklesiologische Kategorien mit Inkulturation konjugiert: Mission, Kommunion und Katholizität. Am Ende dieses Prozesses sieht er eine arabische Kirche, die die Traditionen der verschiedenen katholischen orientalischen Kirchen bewahrt und sich auf die Herausforderungen der Gegenwart einlässt.
Nach einer Einleitung (5-14) gliedert er die umfangreiche Arbeit in drei Abschnitte: Im ersten Teil beschreibt er die Geschichte der Inkulturation der orientalischen katholischen Kirchen (16-247). Das erste Kapitel widmet er der Entstehung der verschiedenen orientalischen Kirchen als einen Inkulturationsprozess. (19-79). Eingeleitet wird dieses Kapitel mit einer Problematisierung der Begriffe „Christlicher Orient“ und „orientalisches Christentum“ (20-27). In der Darstellung der Geschichte der Kirchen in dieser Region sieht er von Anfang an eine Vielfalt an Kulturen, was berechtigterweise zu einer Vielfalt an Kirchen geführt hat. Trotz dieser Vielfalt sieht Daou keine Gefährdung der Kircheneinheit in den ersten Jahrhunderten, da die verschiedenen theologischen Konzepte zwischen den verschiedenen Kirchen zirkulierten und die Kirchen sich gegenseitig bereicherten. Erst der Aufstieg Konstantinopels am Ende des 4. Jahrhunderts stellte seiner Meinung nach die Einheit in Frage. Nach einer zusammenfassenden Darstellung der Geschichte der Häresien und Schismen kommt er auf die aktuellen christologischen Erklärungen der Kirchen, die die dogmatischen Gründe der Teilung als überholt erweisen. Mit Bouwen fragt er, ob die lange Zeit der Trennung angesichts dieser Erklärungen umsonst war (71). Er sieht aber nicht dogmatische Gründe, sondern übertriebenes Nationalbewusstsein und byzantinisches Hegemonialstreben als die Hauptursache der Trennung. Er geht schließlich auf die Kriterien für eine neue Annäherung der Dogmen ein: das erste Kriterium ist eine breitere Perspektive auf die Mission. Der Glaube muss angesichts der heutigen Probleme interpretiert werden. Das zweite Kriterium ist die apophatische Theologie. Das Geheimnis ist so groß, dass eine Vielzahl der Ausdrucksweisen legitim ist. Das dritte Kriterium bildet für ihn der Grundsatz lex orandi – lex credendi. (72-74).
Im zweiten Kapitel beschreibt er die Entwicklung des Verhältnisses der katholischen orientalischen Kirchen zu Rom (80-153). Er fragt, ob es ein Jahrtausend der Dekulturation war. In dem ersten Abschnitt betrachtet er das Paar Rom / Byzanz und die Geburt der Orthodoxie (81-107). Laut Daou bilden die kulturellen Unterschiede eine wichtige Grundlage für den Konflikt. Der Bruch zwischen Rom und Byzanz fand tatsächlich entlang der Sprachgrenze statt (82-84). Im zweiten Abschnitt stellt er die These auf, dass das Fehlen einer kohärenten Ekklesiologie, die von allen akzeptiert ist, im Zentrum des Problems der Trennung von Rom und Byzanz, wie auch des Problems mit anderen Kirchen steht. In den ersten drei Jahrhunderten sei die Kirche eine Bruderschaft lokaler Kirchen gewesen (90). Nach Daou bietet das Patriarchat Antiochien mit all seinen Zweigen die Chance, der traditionellen Lesart der Spaltung Byzanz-Rom zu entrinnen. Er sieht zwei Phasen: in der ersten gruppieren sich die verschiedenen Gemeinschaften zu einem Patriarchat. In der zweiten Phase erfolgt die Rückkehr zur jeweils eigenen Existenz der verschiedenen Gemeinschaften im selben Patriarchat. Im reifen Alter entstehen so die syrisch-orientalische, die westsyrische und die maronitische Kirche. Die Melkiten haben dabei einen besonderen Weg genommen (92-94). Im folgenden zweigt er die imperialistischen Tendenzen der byzantinischen, und die zentralistischen der römischen Ekklesiologie. Im zweiten Abschnitt fasst er die Geschichte der Latinisierungs- und die Zentralisierungstendenzen der römischen Kirche zusammen (108-134). Im dritten Abschnitt geht er auf neuere Entwicklungen seit Papst Leo XIII. ein (135-153). Er sieht hier die Entstehung eines neuen Verständnisses von Katholizität.
Im dritten Kapitel beschreibt er das Dilemma der Inkulturation in der arabisch-muslimischen Welt ( 154-247). Nach der Darstellung der Geschichte der christlichen Araber vor dem Islam (156-164) folgt dann die Darstellung der Christen zur Zeit Muhammads und der muslimischen Eroberung (164-172). Im folgenden Abschnitt über die Erneuerung durch Inkulturation (172-185) stellt er zunächst die Ambiguität des Begriffs der arabo-islamischen Welt fest. Seiner Darstellung nach haben die orientalischen Christen eine neutrale Position bei den Auseinandersetzungen zwischen Byzanz und Muslimen eingenommen und so konnten sich die Eroberer auf die autochtone Bevölkerung stützen ( 176-177). Es folgt die traditionelle Darstellung der Ursprünge der maronitischen Kirchen (178-179). Im zweiten Abschnitt geht er den Herausforderungen der Christen unter dem Islam nach (186-216). Der Status des dhimmi macht die Kirchen zu Gefangenen des muslimischen Staatssystems (187-193). Der westliche Protektionismus (Stichwort: Kapitulationen) stellte für die Christen eine gefährliche Versuchung dar (193-205). Schließlich werden die neuzeitlichen Massaker und die Zerstreuung der orientalischen Christen dargestellt (193-216). Der dritte Abschnitt befasst sich mit den Hoffnungen und Illusionen im gegenwärtigen Nahen Osten (217-242). Als große Hoffnung galt die Nahda-Bewegung, die eine Gleichstellung der Christen zu versprechen schien (218-226). Der Zerfall der „arabischen Nation“ und der Aufstieg des Islamismus zerstörten die Hoffnungen (230-242).
Die wichtigsten Erkenntnisse dieses Teils sind für den Autor, dass die Verbindung zwischen Kultur und christlichem Glauben bei den orientalischen Kirchen ohne Akkulturation vonstatten gegangen ist, da der Glaube hier geboren wurde. Er bezeichnet den Vorgang als Auto-Evangelisierung, da das Volk die Botschaft mit den eigenen kulturellen Mitteln empfängt. Inkulturation ist dabei das gemeinsame Werk der christlichen Gemeinschaft und kein Werk von Spezialisten (243). Die Pluralität doktrinaler und struktureller Art im orientalischen Christentum ist eine natürliche Konsequenz einer gelungenen Inkulturation in einer multikulturellen Welt. Dies ist der Kontext der Entstehung der Einzelkirchen. Dabei ist niemals die Inkulturation Ursache der Kirchenspaltungen gewesen (244). Diese sind nicht durch die Pluralität, sondern durch die Exklusivität und die Homogenität einer Gruppe verursacht worden (245). Die Herausforderung der orientalischen katholischen Kirchen ist nicht nur die Rückkehr zu den Quellen, sondern auch die Eingliederung in die andere Welt. „Wie kann das doppelte Risiko der Marginalisierung eines In-sich-Verschließens und das der Auflösung in eine Assimilation oder der Rückweisung durch den anderen umgangen werden?“ Er sieht in der Auf-sich-selbst-Bezogenheit, die durch die dhimmitude oder millal sanktioniert ist, den schlechtesten Zustand der Kirche (246).
Der zweite Teil „Die Inkulturation in dem globalisierten arabischen Halbmond gründen“ (252-557) behandelt zunächst den Inkulturationsgedanken und die Kultur als solche, um die Erkenntnisse dann auf den Nahen Osten anzuwenden. Das erste Kapitel stellt deshalb die Entstehung des Inkulturationsgedankens vor (257-297). Diese teilt er in drei Phasen, nämlich von der Vorbereitung des Zweiten Vatikanischen Konzils bis in die Mitte der 70er Jahre, von der Bischofssynode zur Evangelisierung 1975 bis zum Ende der 80er Jahre, und seit der Publikation von Redemptoris missio. Im zweiten Kapitel versucht der Autor eine neue Annäherung an das Inkulturationskonzept, nämlich als Theo-praxeo-logie (298-331). Hierbei distanziert er sich von der Inkulturation als Missionskonzept, stellt es in das Zentrum des Glaubensvollzugs (298) und geht auf Distanz zu dem Konzept der bloßen Beziehung des christlichen Glaubens zu den Kulturen. Dabei will er das Inkulturationskonzept in die Mitte des fundamentaltheologischen Diskurses stellen. „Wir glauben tatsächlich, dass universelle Präsenz und Aktion des Wortes und des Geistes aus der menschlichen Geschichte eine Erzählung Gottes macht oder besser eine Erzählung der Vergöttlichung des Menschen“ (319). Theo-praxeo-logie bedeutet zu zeigen, dass die Gesamtheit der Geschichte diejenige des Liebesbundes Gottes mit der Menschheit ist. Inkulturation ist eine diskursive Realität (logos) über die Beziehung zwischen Glauben und den Kulturen, genauso und untrennbar damit ist sie eine Aktion (praxis), die aus der menschlichen Aktivität des Kulturschaffens entsteht. Gleichzeitig ist es eine Theologie, ein Diskurs über die göttlichen Aktivitäten in der Welt im Rahmen der Heilsgeschichte (320). Der Heilige Geist stellt dabei den gemeinsamen Raum der Begegnung zwischen Gott und den Menschen dar und ist erster Agent jeder Inkulturation, die einen menschlichen Reifungsprozess in der göttlichen Pädagogik entspricht (324). Inkulturation kann so nicht mehr als pastorale Strategie oder als missionarische Haltung angesehen werden, sondern muss als Teil einer Haltung des Empfangs und des Hörens auf die Aktion des Heiligen Geistes und des Wortes Gottes verstanden werden, die jedem Missionar und Theologen auf den verschiedenen Wegen der Menschheit vorausgehen (328). Im dritten Kapitel (332-375) stellt er die aktuellen Herausforderungen der Inkulturation dar (332-375). Drei Aspekte behandelt er dabei: die lokale Kirche, den interreligiösen Dialog und die missio Dei , missiones ecclesiae. Die plantatio ecclesiae ist für ihn zunächst nicht die Installation einer Hierarchie und einer kirchlichen Struktur, sondern die Inkarnation der Kirche als mystischer Leib Christi in dem Fleisch einer konkreten Menschheit (334). In diesem Kapitel entwickelt Daou sein Verständnis der drei Arten, die missio Dei zu offenbaren: die Verkündigung, der Dialog und das Zeugnis. Im fünften Kapitel entwickelt er ein Konzept der Kulturen, die er mit vielen anderen Autoren in einer Krise sieht (376-461). Die wichtigsten Kennzeichen sind dabei die Säkularität und die Plurikulturalität. In einem dritten Abschnitt behandelt er die kulturellen Herausforderungen heute. Schlüsselbegriffe sind dabei Solidarität und „Bien-vivre-ensemble“ (428-461).
Das sechste Kapitel steht unter der Überschrift „Des-Orientierung des Mittleren Ostens und die schwierige Geburt eines „arabischen Halbmonds“ (462-559). Dabei stellt er zunächst die Identitätskrise des Arabertums dar und zieht den Schluss, dass sich früher die Araber auf das Prinzip der Selbsterhaltung angesichts des anderen stützten, heute aber ihre einzige Chance darin liege, das „bien-vivre-ensemble“ auszuarbeiten (462-492). Des Weiteren stellt er die problematische Beziehung zwischen den arabischen Gesellschaften und den Prinzipien des Bürgertums, der Demokratie und der Menschenrechte dar. Das Kapitel beschreibt er mit einer Aufstellung der Religionsgemeinschaften, insbesondere der christlichen in der Region (524-556).
Der dritte Teil unter der Überschrift „Die Orientalischen Katholischen Kirchen in der Perspektive einer arabischen Kirche oder die neue Inkulturation“ ist der Kernbereich seiner These (565-794). Die Inkulturation der orientalischen katholischen Kirchen sieht er durch die Apostolizität, die Einheit und die Katholizität bestimmt (566). Es ergeben sich vier Achsen des kirchlichen Lebens und der Erneuerung durch Inkulturation: 1. Lösungen müssen den konkreten Menschen des 21. Jahrhunderts gerecht werden und nicht der westlichen Welt. 2. Kirche ist solidarisch mit den Zivilgesellschaften und Partner anderer Gruppen des „bien-vivre-ensemble“. 3. Dies stellt der Kirche die Frage, ob sie für die Verteidigung ihrer Gläubigen da ist oder im Dienst des anderen und des Gemeinwohls steht. 4. Die Erneuerung verlangt andere Beziehungen unter den katholischen Kirchen und in der Ökumene (568). Da es vor seiner These noch keine theologische Arbeit zur Inkulturation im Nahen Osten gab, entwickelt er seine Arbeit auf der Grundlage der Pastoralbriefe der katholischen Patriarchen im Orient. Sie werden unter Rückgriff auf die vorhergehenden einleitenden Untersuchungen analysiert, um eine Struktur für eine Erneuerung der orientalischen katholischen Kirchen des arabischen Halbmonds durch Inkulturation zu entwickeln. Aus den kritischen Anmerkungen ergibt sich die Position von Fadi Daou.
Das siebte Kapitel behandelt die Inkulturation und Mission anhand des Pastoralbriefes « Ensemble devant Dieu » (570-661). Mission und Apostolizität sind für ihn gleichgesetzt.
In diesem Kapitel untersucht er, wie weit die katholischen Kirchen im Orient der Frage der Mission nachgehen. Nach der Beschreibung, wie die katholischen Patriarchen die heutige Zeit sehen, geht er der Frage nach der missionarischen Berufung der katholischen Kirchen im Nahen Osten nach. Er verweist darauf, dass die Patriarchen beim ersten Treffen die Mission der Kirche in der Region als essentielle Aufgabe wiederentdeckt haben. Dabei zähle nicht die Anzahl der Christen, sondern was die Kirchen der Welt an Besonderem anbieten (572). Die Berufung aller Kirchen und Orden in der Region sei es, die Präsenz Christi für die Brüder zu sein, die auf dem Weg des Islam zu Gott sind (580). In einem weiteren Schritt beleuchtet er die neue Inkulturation vor dem Hintergrund der Tradition, um schließlich die verschiedenen Dimensionen der Mission zu beleuchten. Unter Berufung auf die Exhortation „Une espérance nouvelle pour le Liban“ schreibt er, dass die Kirchen sich in die authentische Tradition stellen müssen, um die Früchte für das Leben heute zu ernten (586). Dabei gelte es, das gemeinsame Erbe von sieben Kirchen Antiochiens zu fruchtbar zu machen (587).
Im zweiten Teil (603-623) beleuchtet er die interreligiöse, intrakulturelle Begegnung. Arabische Christen und arabische Muslime teilen dieselbe Kultur. Das ist das Besondere an dieser Begegnung. Die kulturelle Rolle der Christen wird unter dem Gesichtspunkt der Theo-praxeo-logie beleuchtet und gefragt, wie die arabische Kultur zu einer „größeren Freiheit befreit“ werden kann. Daou legt weniger Wert auf den akademischen Dialog. Unter Berufung auf den 3. Pastoralbrief sieht er in der Präsenz des Anderen die Stimme Gottes in unserem Leben. Deshalb wird im Dialog der andere in der Fülle seiner Persönlichkeit anerkannt und als die Vollendung seiner selbst empfangen. Das wichtigste Resultat des islamisch-christlichen Dialogs in dieser spirituellen Dynamik seien weder die Kenntnis der anderen Religion, noch die Konversion zur anderen Religion, sondern die Konversion jedes Akteurs zu Gott und der Eintritt in eine spirituelle Solidarität, die die Beziehungen auf dem täglichen Niveau reinigt und festigt (608). Eine praktische Dimension kommt hinzu: Gemeinsam vor Gott zu stehen bedeutet auch, gemeinsam für das Gemeinwohl zu arbeiten (609). Der dritte Teil (624-661) fragt nach dem Dienst der Kirche an Mensch und Gesellschaft. Zunächst beschreibt er die Notwendigkeit der Dekonfessionalisierung. Der Kommunitarismus stellt das größte Problem für das bürgerliche Engagement dar. Daou meint, dass der Konfessionalismus zu einem oberflächlichen Glauben führt, nämlich zu Fideismus und Kleriko-Institutionalismus. Glaube wird so innerlich geleert und auf soziales und rituelles Engagement reduziert. Oder aber – um diesem zu entfliehen – werde ein Glaube nach neuen Formen praktiziert, der durch Sentimentalität und populäre Euphorie geprägt ist (627). Er erkennt aber auch Zeichen der Hoffnung: die Existenz vieler katechetischer Zentren, die den Glauben in den Kontext der Zeit setzen, und das Wiedererwachen des missionarischen Gedankens (631). Doch er sieht auch Zaudern und Rückschritte auf dem Weg der Überwindung des Konfessionalismus: Im 3. Pastoralbrief steht einerseits die Forderung nach der Bildung eines verantwortlichen Bürgers, andererseits die Position der Politik des Kommunitarismus (633-634). Im 4. Pastoralbrief schließlich sehen die Bischöfe die Schuld beim Staat, der keine klare Position zu der Vielfalt der Religionen bezieht und deren Beteiligung an der Macht (634). Tatsächlich hat sich in den letzten Jahren (vor 2003) der Kommunitarismus verstärkt (636). Daou glaubt nicht, dass die Zukunft in einer besseren Teilhabe der Kommunitäten am Staat liegt, sondern das politische Engagement auf der Basis der Konfessionen langfristig schadet. Eine Dekonfessionalisierung bleibe notwendig, auch wenn strukturelle Unsicherheiten auf nationalem Niveau fortbestehen (638). Auch der Umgang der orientalischen Katholiken mit der Armut sei problematisch (640-646). Gott offenbare sich zwar im armen Mitmenschen, allerdings konnte dies nicht zu einer Befreiungstheologie führen wie in Lateinamerika. Schließlich kommt der Autor auch auf die Friedensmission der Kirchen zu sprechen und stellt zurecht fest, dass das Augenmerk in den offiziellen Dokumenten auf der israelisch-arabischen Auseinandersetzung liegt (646-661).
Das achte Kapitel betrachtet die Inkulturation unter dem Aspekt der Kommunion (662-713). Im ersten Abschnitt behandelt er die spannungsgeladene Kommunion der katholischen orientalischen Kirchen (663-680). Der Autor weist darauf hin, dass nach dem Konzilsdekret Orientalium Ecclesiarum 30 die katholischen orientalischen Kirchen eine provisorische Einrichtung bis zur vollen Kommunion mit den anderen Kirchen ist (664) und dass nach der Deklaration von Balamand dem Uniatismus abgesagt wurde und die Schwesternkirchen „neu entdeckt“ wurden. Dies veranlasst ihn zu fragen, was dann die Rolle der katholischen Orientkirchen sei (666). Der Autor glaubt, dass die Ambiguität in den römischen ekklesiologischen Deklarationen für die katholischen orientalischen Kirchen schlimmer sei als die tatsächliche Situation selbst (669-671). Am Beispiel der Apostolischen Kirche des Ostens und der chaldäischen Kirche zeigt er die Chancen einer Kommunion „von unten“. Er konnte den späteren Rückschlag nicht voraussehen, der durch den Übertritt von Mar Bawai Soro, dem assyrischen Bischofs der Western Diocese of California, zur katholischen Kirche verursacht wurde. Die melkitisch-griechisch-orthodoxen Einigungsbemühungen sind für ihn Beispiel eines gescheiterten Versuchs. Er erklärt auch die Gründe des Scheiterns: es fehlte vor allem der Geist der Einigung. Die Zeit sei noch nicht reif gewesen. Es wurde zu sehr von der kanonistischen Seite her gedacht. Im Pastoralen war die Differenz noch zu groß (671-679). Im zweiten Abschnitt geht er auf die Struktur und die Arbeit des Nahöstlichen Rates der Kirchen ein (681-686). Das größte Defizit in der Arbeit des Rates sieht Daou darin, dass zu viel in den Einzelkirchen geschieht und zu wenig gemeinsam (682).
Der dritte Abschnitt behandelt die Auswirkungen einer neuen Inkulturation auf die Kommunion (687-713). Die Suche nach der neuen Einheit gestaltet sich in der Pastoral – so Daou – durch einen immer größeren Platz von MECC in den regionalen Fragen des Dialogs, der Gerechtigkeit, des Friedens und der Versöhnung und in einer Reinigung jeder Kirche von allem, was der Einheit im Wege steht. Dies erfordere vor allem eine Konversion der Mentalitäten (692). Die Zusammenarbeit sei dabei der Weg zur Einheit und Ökumene der Nähe (692-694). Daou macht zwei konkrete Vorschläge für den Weg zur Einheit: Der erste Vorschlag betrifft das monastische Leben: dasselbe Gebet teilen, dasselbe Zeugnis des radikalen Engagements und das Gemeinschaftsleben teilen, trotz unterschiedlicher Kirchenzugehörigkeit (710). Der zweite Vorschlag beinhaltet, dass die ökumenische Idee in den Gemeinden und in der Priesterausbildung kommuniziert werden müsse und der dritte Vorschlag betrifft das gemeinsame Gebet und das Gebet für einander, ohne dass dies ausdrücklich ökumenisch orientiert sein müsse – es sei quasi normal (711).
Das neunte und letzte Kapitel handelt von der Inkulturation und der Katholizität (715- 794). Im ersten Abschnitt vertritt Daou die Meinung, dass die römische Ekklesiologie der zwei Etagen, namentlich die Diözese und die Universalkirche, nicht ausreiche, um die Katholizität zu sichern. Dies könne nur die synodale Kirche (mit den Patriarchaten) sichern, da hier besser Einheit und Verschiedenheit abgebildet werden könne (715-738). Im zweiten Abschnitt stellt er die Problematik der Diasporakirchen im Westen dar (739-768). Der dritte Abschnitt behandelt die katholischen orientalischen Kirchen sui iuris in der Perspektive einer lokalen arabischen Kirche (769-794). Daou leitet diesen Abschnitt mit zwei Fragen ein: Ist es heute noch gerechtfertigt, dass es sechs verschiedene katholische Bischöfe in Beirut gibt, und jeweils fünf in Kairo und Aleppo? Warum müssen in einem Dorf mit mehreren Hundert Einwohnern, wo die Leute das gleiche soziale und kulturelle Leben teilen, an zwei oder drei verschiedenen Orten der katholische Glaube gefeiert werden? (771) Er beantwortet die Frage dahin gehend, dass heutzutage nicht nur mehr Koordination gefragt sei, sondern eine neue Inkulturation. Weder ökumenische Rücksichten (Patriarchate), noch das Misstrauen gegenüber einer Latinisierung rechtfertigen die Fortsetzung traditioneller kirchlicher Strukturen, wo die Gesellschaft gerade einen fundamentalen Bruch in ihrem kulturellen Sein erlebt. Die Strukturen der Ökumene wegen aufrecht zu halten, bedeute eine institutionelle Einheit, sie riskiere damit aber die kirchliche Leere, ja die Abwesenheit der Gläubigen (774). Daou fragt, ob sich die gelebte und erfahrene Einheit auf der hierarchischen Ebene auf das liturgische Leben der Gemeinden herunterbrechen lässt. Die Patriarchen, so stellt er fest, schweigen dazu. Ist es aber konsequent zu sagen, dass der Glaube gemeinsam gelebt werden soll, aber nicht im Moment der Darbringung dieses Glaubens? Er beantwortet sie auf den folgenden Seiten: Die katholischen Patriarchen bestehen zurecht auf der notwendigen Konversion ihrer orientalischen Kirchen, um aus dem konfessionellen Schema, das sie gefangenhält, zu entfliehen. Dies kann nach Daou durch eine Umkehr der Perspektive geschehen: von kommunitaristischer Abschottung hin zu einer missionarischen Öffnung auf die Welt (793),
Im Schlussteil (795-799) macht Daou auf drei Ebenen konkrete Vorschläge: dem soziopolitischen, dem ökumenischen und dem katholischen Niveau. Es folgt die Bibliographie, die die Werke nach verschiedenen Kategorien ordnet (800-835). Im Anhang befinden sich Karten, Tafeln und Texte (837-855). Das Werk schließt mit Indices, Sigelverzeichnis und Inhaltsverzeichnis (857-883).
Bewertung
Es handelt sich hier um eine typische Doktorarbeit an einer französischen Universität. Sie ist sehr umfangreich und die ersten beiden Teile dienen zur Vorbereitung der These, die dann im dritten Kapitel entwickelt wird. Die ersten beiden Teile umfassen zwei Drittel des Umfangs der These. Im ersten werden die Geschichte der orientalischen Kirchen und bestimmte Schwerpunktsetzungen zusammengefasst, im zweiten der Begriff der Inkulturation und die Vorstellung von der arabischen Kultur problematisiert. In diesen weit ausgreifenden Zusammenfassungen und Hinführungen zum Thema kann der Autor nicht alle verfügbare Literatur und Forschungsergebnisse berücksichtigen, sondern muss sich auf allgemein rezipierte Literatur beschränken. So passiert es leicht, dass traditionelle Ansichten wiedergegeben werden, aber neue Erkenntnisse nicht zur Sprache kommen, wie zum Beispiel die Wiedergabe des traditionellen maronitischen Geschichtsbildes oder die Vorstellung, dass die orientalischen Christen aus Abneigung gegenüber Byzanz die Araber als Befreier empfangen oder sich neutral verhalten haben. Im dritten Teil gibt es einen historischen Irrtum. Der Autor geht davon aus, dass die Apostolische Kirche des Ostens Mitglied des MECC geworden sei. Tatsächlich stand der MECC kurz vor der Aufnahme dieser Kirche, jedoch wurde der Schritt nicht vollzogen.
Leser, die die Grundzüge der orientalischen Kirchengeschichte und die Diskussionen zur Inkulturation kennen, werden in den ersten beiden Teilen kaum etwas Neues erfahren. Jedoch können sie auch nicht einfach überschlagen werden, da immer wieder zentrale Ideen entwickelt werden. So behandelt er im zweiten Abschnitt seine Vorstellungen von der Inkulturation als „Theo-Praxeo-logie“, einem zentralen Begriff, der in dem letzten Abschnitt wiederholt vorkommt.
Für den Leser, der durch den Titel des Werkes neugierig wurde, ist der dritte Teil der interessanteste. Es stellt sich die Frage, warum sich der christliche Glaube im Orient inkulturieren soll, wo er doch in dieser Kultur selbst entstanden ist. Tatsächlich geht es hier nicht darum, dass der Glaube in eine andere Kultur übersetzt werden muss, sondern dass er sich der gewandelten Kultur und den neuen Realitäten anpassen muss. Vielleicht wäre hier der Begriff der Kontextualisierung angebrachter gewesen als der der Inkulturation. Diese Inkulturation, verstanden als Kontextualisierung oder Erneuerung, ist eine permanente Aufgabe der Kirche, wie der Autor dies auch darstellt. Hierfür entwickelt er den Begriff der „Theo-praxeo-logie“. Grundlegende theologische Gedanken, wie die, dass die gesamte Schöpfung, einschließlich der Kultur und Religion, Werk Gottes ist und die Geschichte durchgehend eine Geschichte der Begegnung von Gott und Mensch ist, sind wichtige Aspekte, die für den interreligiösen Dialog fruchtbar gemacht werden können.
Die Grundlage seiner Arbeit über die Inkulturation im arabischen Raum bilden die Pastoralbriefe der katholischen Patriarchen. Der Autor beschränkt sich auf die Inkulturationsproblematik der katholischen orientalischen Kirchen. Durch Würdigung und Kritik arbeitet er die Herausforderungen und die notwendigen Schritte für eine „neue Inkulturation“ heraus. Damit kann er sich bei seinen Thesen auf kirchliche Dokumente stützen, wenn er seine im orientalischen Kontext provozierenden Thesen aufstellt. Hierzu gehört die Ansicht, dass die Konzentration auf die eigene Tradition und Gemeinde, der Konfessionalismus und Kommunitarismus die Grundübel seien und eine neue Inkulturation und damit Zukunftsfähigkeit des katholischen Glaubens in der Region, sowie das Ziel der Einheit als eine arabische „Kirche der Kirchen“ behindere (662).
Neben kleineren Fehlern oder mangelnder Rezeption neuerer Ergebnisse ist die verwendete Literatur ein Schwachpunkt. Sie ist fast ausschließlich französisch mit einem kleineren Anteil arabischer Literatur. Wenige englischsprachige Werke wurden verwendet. Die übrige internationale Literatur zur Inkulturation, arabischen Kultur und orientalischen Kirchengeschichte wurde nicht rezipiert und so herrschen in dem Werk französische Ideen vor. Dass nur relativ wenig arabische Literatur verwendet wurde, spiegelt die Problematik der Wissenschaft und insbesondere der Theologie wider. Gewichtige Literatur wird in erster Linie in Französisch oder Englisch verfasst. Überhaupt ist die Produktion von wissenschaftlicher Literatur in den orientalischen Kirchen nur relativ schwach entwickelt.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Der dritte Teil ist unbedingt lesenswert für alle, die sich theologisch mit der Lage der katholischen Kirche(n) im Orient befassen wollen und die Vision einer lebendigen Kirche jenseits der Traditionsbewahrung suchen.
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