Harald Suermann (Hg.), Naher Osten und Nordafrika (= Erwin Gatz (Hg.), Kirche und Katholizismus seit 1945, Band 7)

Harald Suermann (Hg.), Naher Osten und Nordafrika (= Erwin Gatz (Hg.), Kirche und Katholizismus seit 1945, Band 7), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2010, XX + 255 S.. ISBN 978-3-506-74465-4, EUR 39,90.

Der Titel des Buches verspricht Aufschluss über die aktuelle Situation der katholischen Kirche im Nahen Osten und Nordafrika. Der Herausgeber möchte die jüngste Geschichte und die Gegenwart der Kirche in diesen Regionen aufzeigen. Suermann wählt einen durch die Geographie bestimmten Ansatz. Es wird nicht die Geschichte der einzelnen Kirchen losgelöst beschrieben, sondern anhand der einzelnen Staaten werden die jeweiligen katholischen Partikularkirchen behandelt. Jede Kirche hat ihre eigene Geschichte und trotz der Vielfalt in einem Land wie im Libanon kann nicht von einer gemeinsamen Geschichte gesprochen werden, der Band wirft einen „umfassenden Blick auf die neuere Geschichte aller katholischen Teilkirche in einem Land im Kontext der anderen Kirchen“ (Vorwort). Der Herausgeber stellt die Fakten in den Vordergrund, die Theologie, Liturgie, Literatur, Spiritualität, Mönchstum und Mission der einzelnen Kirchen werden nicht mitbehandelt.

In der Einleitung gibt Suermann einen Überblick über die einzelnen Kirchen in den islamischen Staaten. Er skizziert den geschichtlichen Hintergrund der Entstehung der Kirchen und ihren jeweiligen hierarchischen Vertretungen, wobei er die Kirchen für den Nahen Osten in vier Kirchengruppen aufteilt: vorephesenisch, vorchalzedonensisch, chalzedonensisch-orthodox und katholisch. Ein leicht vereinfachendes Schaubild verdeutlicht diese Einteilung (S. 4). Zu der Gruppe der vorephesenischen Kirchen gehören die alte Kirche des Ostens und die apostolische Kirche des Ostens. Letztere hat das Patriarchat nach Chicago verlegt, mit Bischöfen im Irak, Iran, Libanon, Syrien, Indien, Australien, Neuseeland, Europa und Nordamerika. Sie spaltete sich 1972 in die „Heilige apostolische und katholische Kirche des Ostens“ und in die „Alte apostolische und katholische Kirche des Ostens“ auf, mit Patriarchensitz in Bagdad. Hier wird gleich eine Entwicklung aller katholischen Kirchen im Nahen Osten angesprochen, die Abnahme der Mitgliederzahlen aufgrund der Abwanderung der christlichen Familien und die daraus folgende Anpassung der kirchlichen Strukturen, der Mittelpunkt der Kirchen verlagert sich und damit auch teilweise der Ort der Patriarchensitze (S. 7). Die gemeinschaftlichen Institutionen und die Ursprünge der ökumenischen Arbeit im Nahen Osten werden aufgezeigt, wie der Mittelöstliche Rat der Kirchen (MECC) oder die gemeinsamen katholischen Einrichtungen, so der Rat der katholischen Patriarchen des Orients (CPCO).

Im zweiten Kapitel widmet sich Herman Teule (Nimwegen/Löwen) den verschiedenen katholischen Teilkirchen in der Türkei nach 1945, der Griechisch-Katholischen; den Chaldäer; der Syrisch-Katholischen; der Armenisch-Katholischen; der Bulgarisch-Katholischen, den Maroniten und den „Lateinern“. Detailliert zeichnet er die heutige Situation der einzelnen Kirchen auf, beispielsweise besitzen die verarmten Chaldäer keine eigene Kirche in Istanbul und benutzen die Kirche der griechisch-katholischen Gemeinde, die seit 1996 ohne Geistlichen ist (S. 42).

Suermann erschließt im dritten Kapitel die Lage im Irak. Dort ist die chaldäische Kirche im Gegensatz zur Türkei mit etwa 200 000 bis 330 000 Gläubigen die größte, sie hat ihren Sitz in Bagdad. Viele Mitglieder sind jedoch nach den Golfkriegen ins Ausland geflohen (S. 54). Im vierten Kapitel erkundet Teule Syrien und bezieht einige neuere bedeutende Ereignisse mit ein, wie den Besuch von Papst Johannes Paul II. im Mai 2001. (S. 104). Im nächsten Kapitel wird durch Suermann der besonderen Situation im Libanon Rechnung getragen. Libanon ist bis heute von einer Vielfalt christlicher Konfessionen geprägt (S. 105). Anfangs werden die zwölf christlichen Konfessionen vorgestellt, um dann die Geschichte des Libanon verbunden mit der Kirchengeschichte zu erörtern. Die katholischen Rituskirchen, die Maroniten, Melkiten, katholischen Armenier, katholischen Syrer, Chaldäer und Lateiner führen seit 1967 eine jährliche Versammlung der katholischen Patriarchen und Bischöfe des Libanon, Association des Patriarches et Èveques Catholiques du Liban (APECL) durch, womit ihre Position im Land gestärkt wird (S. 119). Ausführlich wird der Bürgerkrieg behandelt und die Verbindung zwischen Kirchenhierarchie, Politik und Militär aufgezeigt. Im Libanon spielt die Auswanderung eine große Rolle, es leben mehr Maroniten Ausland als im Land selbst. Seit Anfang 2000 finden verstärkt ökumenischen Aktivitäten statt, wie das Treffen der Mitglieder der Association des Instituts de Théologie du Moyen-Orient (ATIME) in Kaslik (S. 133). Die Ausführungen enden mit dem Jahr 2006. Im sechsten Kapitel wird vom gleichen Autor Jordanien vorgestellt. Ein Abschnitt behandelt die „tribale Struktur der jordanischen Christen“ und somit die Lebenswirklichkeiten der Christen und die Entfremdung zwischen Gemeinde und Hierarchie (S. 139-140). 1980 wurde die Königliche Forschungsakademie für die Islamische Zivilisation (Aal-Albeit Foundation) gegründet, Leiter ist Prinz Hassan ibn Talal. Er veröffentlichte 1994 in Amman sein Buch „Christainity in the Arab World“, in dem die jordanischen Christen als integraler Bestandteil der arabischen Gesellschaft bestätigt werden (S. 143). Prinz Hassan ibn Talal wirkte am Brief „an den Papst und die ganze Christenheit“ der 138 Muslime an Papst Benedikt XVI am 13. Oktober 2006 mit. Die Situation der katholischen Kirche im Staate Israel und der besetzten Gebiete Palästinas wird im siebten Kapitel von Rainer Zimmer-Winkel (Berlin) erörtert. Er wählt als Titel den Begriff „Heiliges Land“, da diese Bezeichnung direkt auf den christlichen Bezug hinweist (S. 148). Für dieses Kapitel gibt es eindeutig die beste Quellenlage, die jedem Kapitel vorangestellt Bibliographie beinhaltet hier zahlreiche Werke mit einem Erscheinungsdatum ab 2000. Nach einem historischen Überblick ab 1917 bis zum jüngsten Besuch Benedikts XVI im Mai 2009 wird die aktuelle Organisationsstruktur der sieben katholischen Riten in Auswahl vorgestellt. Bedeutsam im Hinblick auf den Platz in der Gesellschaft und den kirchenrechtlichen Konsequenzen war die gemeinsame Synode aller katholischen Rituskirchen des Heiligen Landes in den Jahren 1995-2000 (S. 156). Einrichtungen neueren Datums werden ebenfalls aufgezeigt, wie die Katholische Ordinarienversammlung Assembly of Catholic Ordinaries of the Holy Land (A.O.C.T.S.) seit 27. Januar 1992 (S. 159), aber auch die Custodia Terrae Sanctae (Franziskaner), die seit 1217 ansässig ist (S. 161). Wie in jedem Kapitel werden die sozialen Werke und Einrichtungen skizziert, wie Schulen und Krankenhäuser, hier kommt die kirchliche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit hinzu. Zimmer-Winkel stellt u.a. Proche-Orient Chrétien vor, eine seit 1951 in Trägerschaft der Weißen Väter (Konvent St. Anne) und heute in Kooperation mit dem Institut für Religionsstudien der libanesischen Universität St. Joseph erscheinende Vierteljahreszeitschrift, die er als eine der besten ihrer Art charakterisiert (S. 171). Suermann greift im Kapitel über den Libanon vorrangig auf diese Zeitschrift zurück. Das kürzeste Kapitel ist das von Suermann über die Arabischen Halbinsel, das Apostolische Vikariat von Arabien (seit 1889) und das Apostolische Vikariat von Kuwait (seit 1954). Suermann geht auf den Jemen, Bahrain, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, Oman, Saudi-Arabien und Kuwait ein. Deutlich wird hier die Verbindung zwischen der Anwesenheit der katholischen Kirche und dem Aufbau sozialer Einrichtungen (S. 176). Die Globalisierung ist grundlegend für die katholische Kirche auf der arabischen Halbinsel, die Einwanderung der Gastarbeiter, wie aus Philippinien oder Indien machte den Bau neuer Kirchen und die Anwesenheit Geistlicher der unterschiedlichen Riten notwendig. 2007 besuchte König Abdullah ibn Abdel-Aziz Al Saud von Saudi-Arabien als erster saudischer König Papst Benedikt XVI. (S. 183). Im neunten Kapitel geht Suermann auf Ägypten ein und leitet so über zu Nordafrika. Nach einem kurzen Überblick über die Geschichte ab dem 19. Jahrhundert stellt er die Bedeutung der Verfassung ab 1952 und die gesellschaftliche Position der Christen dar (S. 190-194). Nach der Beschreibung des christlich-islamischen Dialogs erfolgt die Vorstellung der katholischen Teilkirchen, neben Lateiner sind das die koptisch-katholische Kirche, die griechisch-katholische melkitische, die Maroniten, Chaldäer, die katholische Syrer und armenische Katholiken (S. 206). Zu erwähnen sind die 39 Frauenkongretationen der verschiedenen Riten, die sich zur Union des Supérieures majeures d’Egypte (U.S.M.E.) zusammengeschlossen haben (s. 203). Anschließend geht Suermann im nächsten Kapitel auf den Maghreb ein. Vorab benennt er die gemeinsamen Charakteristika wie die Prägung durch die Kolonialzeit und die bis auf Algerien ausschließliche aus Ausländern, meist aus südlicher afrikanischen Ländern, bestehende Anwesenheit von Christen in Libyen, Tunesien und Marokko und dem damit verbundene Wegfall von unterschiedlichen Riten (S. 212). Die Bischöfe Nordafrikas gründeten die Conférence des Évêques de la Region Nord de L’Afrique (C.E.R.N.A.). Die einzelnen Staaten werden jeweils auf drei bis vier Seiten erörtert, dies läßt sich einerseits durch die Nicht-Existenz der katholischen Kirche als auch auf die schwierige Quellenlage zurückführen. Einzig Algerien wird etwas ausführlicher behandelt, neben der periodischen Einteilung der Geschichte ab 1940 wird das u.a. vom Erzbischof von Algier, Henri Teissier vom 1.–7. April 2001 in Algier und Annaba organisierte internationale Augustinus-Kolloquium erwähnt, welches die Heimat dieses bedeutenden Theologen und Philosophen hervorhob und Perspektiven für einen Dialog eröffnete (S. 228). Am 24. Mai 2008 wurde Ghaleb Moussa Abdallah Bader, ein arabischer Christ aus Jordanien, Erzbischof von Algier (S.229). In Marokko ist die katholische Kirche durch zwei Erztümern vertreten, in Tanger und Rabat. Seit dem Regierungsantritt von König Muhammad VI. am 30. Juli 1999 öffnete sich das Land und damit das Verhältnis zur katholischen Kirche (S. 233). Im abschließenden Kapitel, überschrieben als Schlussbemerkungen, zieht Suermann die Quintessenz der aktuellen Lage der Christen im Nahen Osten und in Nordafrika. Er konstatiert eine schwierige Lage und ein mögliches Ende der traditionellen katholischen Kirche, gleichzeitig jedoch einen Ausblick auf einen neuen Dialog mit den islamischen Länden und einem möglichen Neuaufbau katholischer Gemeinden (S. 241). Ein Namensregister, Ortsregister, Sachregister und Autorenverzeichnis schließen das Buch ab. Ein Verzeichnis der Abkürzungen und ein hilfreiches Glossar finden sich am Anfang des Buches.

Insgesamt liegt hier eine gelungene Übersicht über die katholische Kirche in dieser Region vor und ist als Einstieg in das Thema zu empfehlen. Kritisch zu beurteilen ist die stellenweise Benutzung einer einzigen Quelle (Libanon) und die Zurückhaltung bei der Nutzung von internationalen Datenbanken und (arabischen, syrischen, griechischen etc.) Homepages der einzelnen Kirchen und Gemeinden.

Suermann hofft, mit dem Buch ein lebendiges Interesse an den Christen im Nahen Osten und in Nordafrika zu wecken. Das Buch kommt angesichts der massiven Veränderungen im Maghreb und im Nahen Osten zur rechten Zeit, wird jedoch teilweise von diesen überrollt, da 2010 Redaktionsschluss war. Wünschenswert wäre daher eine Ergänzung der Beschreibungen seit dem arabischen Frühling in Form von einem Aufsatz.

Verena Böll

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